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Stefan Laurin
Versemmelt
Das Ruhrgebiet ist am Ende
Titelillustration: Oli
Hilbrink
96 Seiten · gebunden · 9,90 €
mit Lesebändchen
ISBN
978-3-942094-98-6
Dieses Buch handelt von Fehlern und Ignoranz, von vertanen Chancen und
vom mangelndem Willen zu gestalten. Das Ruhrgebiet hatte viele
Möglichkeiten; die meisten hat es nicht genutzt. Keine Region
Deutschlands, ja Europas, von dieser Größe wird dilettantischer
regiert. Verantwortlich hierfür waren und sind die Menschen, die all
das mitgetragen haben. Das Scheitern der Regionalplanung des
Regionalverbandes Ruhr in den vergangenen Wochen hat Laurins Buch noch
einmal bestätigt: Das Ruhrgebiet hat versemmelt.
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Stefan Laurin mochte schon als Kind
nicht, wenn andere ihm sagten, was er tun soll und was nicht. Laurin
wohnt in Bochum und arbeitet als freier Journalist unter anderem für
Die Welt, Die Welt am Sonntag, die Jüdische Allgemeine und die Jungle
World. Nebenbei ist er Herausgeber des Blogs Ruhrbarone und legt sich
mit allen an, die Spaß daran haben, anderen Menschen ihre Freiheit zu
nehmen. |
Aus der Einleitung:
Dieses Buch ist ein Rückblick auf ein Thema, das mich seit 1996
beschäftigt. Damals begann ich als Redakteur für das Ruhrgebietsmagazin
Marabo zu arbeiten. Zwei Themenbereiche kamen nach und nach in meinen
Verantwortungsbereich: die Multimedia-Seite, auf der ich neben der
Vorstellung von Computerspielen und neuen Webseiten auch immer mal
wieder über netzpolitische Themen berichtete, und die Rubrik
„Ruhrgebiet“. In der ging es oft um ein Thema, von dem ich, bevor ich
beim Marabo anfing, noch nicht einmal wusste, dass es existiert:
Ruhrgebietspolitik. Damals sollte der Kommunalverband Ruhr (KVR)
abgeschafft werden, was mich so wenig interessierte wie die Spielstände
in der dritten Fußball-Liga Chinas.
Der Mann, der das änderte, hieß Frank Levermann. Er war Pressesprecher
des KVR und für das Ruhrgebiet ein Glücksfall: Er kannte nicht nur die
Geschichte der Region in- und auswendig, sondern er brannte für das
Ruhrgebiet und die Idee, dass es zu einer großen Stadt zusammenwachsen
könnte. Sein Arbeitgeber, der KVR, war ihm nicht allzu wichtig. Wichtig
war, dass der Verband die einzige Klammer des Ruhrgebiets war. Sollte
sie wegfallen, müsste man alle Hoffnungen auf eine gemeinsame Zukunft,
auf eine „Ruhrstadt“ begraben.
Nach zwei Stunden im Büro von Frank war ich von der Idee der Ruhrstadt
begeistert. Nicht mehr über fünfzig vor sich hin wurstelnde Städte,
sondern eine echte Metropole mit fünf Millionen Einwohnern. Größer als
Berlin würde sie sein, und wenn all die Potenziale, die das Ruhrgebiet
hatte, zusammengelegt würden, auch kein Notfall, der am Tropf
finanzieller Hilfen hängen müsste. Frank Levermann begeisterte damals
viele Journalisten von der Idee der Ruhrstadt, von der Idee, dass es
ein Ende haben müsste mit der Kirchturmpolitik im Ruhrgebiet.
Wir schrieben uns in den kommenden Jahren die Finger wund, wir
verfassten Artikel um Artikel, wir belegten, dass es klüger wäre, wenn
die Städte mehr zusammenarbeiten würden, ja, dass eine einzige große
Stadt, zumindest aber ein eigener Regierungsbezirk für das Ruhrgebiet
die beste Lösung wäre.
Und wir lagen richtig, wir hatten recht: Noch heute endet jede Studie
zum Ruhrgebiet damit, dass die Verfasser die mangelnde
Kooperationsbereitschaft im Ruhrgebiet als eines der größten Probleme
ansehen, wenn es um die mangelnde Zukunftsfähigkeit des Reviers geht.
Über fünfzig Städte auf einem Fleck, mehr als ein Dutzend
Nahverkehrsunternehmen, Sparkassen, Energieversorger – keine Region
Deutschlands, ja Europas in dieser Größe wird dilettantischer regiert
als das Ruhrgebiet. [...]
2020 wird zum ersten Mal das
Ruhrparlament, wie sich die Verbandsversammlung des RVR mit einem
gewissen Pathos nennt, von den Bürgern direkt gewählt werden. Den
großen Durchbruch gab es in dieser Zeit allerdings nicht. Es gab keine
große Zusammenlegungswelle der Nah- verkehrsunternehmen, es gab nicht
einmal nennenswerte Fortschritte beim Nahverkehr – er ist immer noch
teuer und schlecht. Die Millionen Menschen, die nicht an der Achse
Dortmund – Duisburg leben, sind nach wie vor meist nicht vernünftig
angebunden.
Was es auch nicht mehr gibt, ist eine Begeisterung für die Region. Die
historische Chance, die sich in den späten 1990er Jahren eröffnete,
weil es eine regelrechte Euphorie für das Thema Ruhrgebiet gab, ist
passé. Dass es so kam, war kein Zufall. Die Ruhrgebiets-Euphorie wurde
von den meisten Politikern als störend empfunden und ausgebremst. Wie
das geschah, ist eines der Themen dieses Buches. Aber vor allem ist es
eine Abrechnung. Es geht um vertane Chancen, um Fehler, um Ignoranz, um
den fehlenden Willen, zu gestalten. Und im Ruhrgebiet gibt es eine weit
verbreitete Opferhaltung. Alle anderen sind schuld, lassen das Revier
hängen, helfen nicht genug.
„Dein Grubengold hat uns wieder hochgeholt“, knödelt Herbert Grönemeyer
in seinem Hit „Bochum“. Das ist so richtig, wie es falsch ist: Ohne die
Kohle und den Stahl aus dem Ruhrgebiet hätte sich die junge
Bundesrepublik nach dem Krieg nicht so schnell erholt. Aber unter Tage
arbeiteten damals Bergleute, keine Samariter. Für ihre Arbeit bekamen
sie Geld – und nach damaligen Maßstäben sogar relativ viel Geld. In den
ersten Jahren nach dem Krieg kamen noch üppig bemessene
Lebensmittelpakete dazu. Und die Bergbau-Unternehmen verschenkten ihre
Kohle auch nicht, sie verkauften sie.
Es floss viel Geld ins Revier damals. Die Städte des Ruhrgebiets waren
reiche Städte. Und das Geld, das sie hatten, war von ihren Bürgern und
Unternehmen erarbeitet worden. Nichts zu danken, Geld gegen Leistung.
Und natürlich auch kein Grund, besonderen Dank zu erwarten.
Das Ruhrgebiet hatte viele Möglichkeiten, die meisten hat es nicht
genutzt. Und verantwortlich dafür war niemand anderes als die Menschen
der Region, die all das mitgetragen haben.
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